Leadership-Expedition Mars

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Veränderungen muss man positiv begegnen; sie bergen immer auch Chancen in sich. Davon waren wir im Leadership-Training überzeugt. Bis wir auf den Mars fliegen sollten. 

Vergangene Woche hat die NASA die Mission Mars 2020 gestartet. Der 2,5 Milliarden teure Rover Perseverance soll inklusive Helikopter in sieben Monaten auf dem Mars landen, Gesteinsproben nehmen, organische Verbindungen aufspüren, Biosignaturen von Mikroben identifizieren und Töne vom Mars übertragen.

Ich staune. Weniger über die Errungenschaften modernster (und beeindruckender) Technologie oder den menschlichen Erkenntnishunger. Vielmehr staune ich darüber, dass Menschen, die mich an IQ weit übertreffen, ihre ganze Energie darauf ausrichten, den roten Planeten zu besiedeln. Elon Musk sieht den Kick darin, dass die Menschheit sich von einer Single-Planeten-Spezies zu einer Multi-Planeten-Spezies entwickeln könnte und bastelt mit SpaceX an einer Rakete, die wieder auf die Erde zurückfliegen und landen kann.

Echt jetzt?! Was soll ich auf einem Planeten, auf dem ich nicht atmen kann, Gemüse essen muss, das auf meinem eigenen Kot gewachsen ist und auf dem ich bei gut Minus 85 Grad Celsius wohl im wahrsten Sinne des Wortes kalte Füsse kriegen würde? Bin ich spiessig? Bin ich veränderungsscheu?

Es lassen sich immer wieder Menschen auf Hawaii in eine Kuppel einschliessen, um abgeschottet von ihren Familien das Zusammenleben auf engem Raum und die Auswirkungen extremer Isolation auf Gesundheit und mentale Verfassung zu untersuchen. Die Kuppel misst elf Meter Durchmesser und sechs Meter Höhe und die Probanden dürfen sie nur nach langer Vorausplanung und im Raumanzug verlassen. Die Kommunikation erfolgt mit 20 Minuten Verzögerung (wie auf dem Mars) und Duschen ist auf Minuten pro Woche limitiert. Und das tun diese Personen freiwillig und monatelang. Es gibt also Menschen, die nicht nur viel Geld investieren, sondern auch ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren um als erste einen kleinen Schritt auf dem roten Planeten zu machen. Wäre ja ein Grosser für die Menschheit.

Ich habe die Expedition auf den Mars mit Teilnehmern eines Leadership-Trainings gemacht, wenn auch bloss als gedankliches Experiment. Ausgangslage war, dass sie von ihrer Firma auserwählt wurden, als Erste den Mars zu besiedeln. Eigentlich eine Ehre – so die Verantwortlichen der Expedition — doch die Auserwählten schauten nicht so begeistert drein. Dabei ist doch das eines der letzten grossen Abenteuer der Menschheit, oder? 

Aber die Teilnehmer des Gedankenexperimentes waren nicht zu begeistern für Schritte im roten Staub. Im Gegenteil. Den Leadership-Interessierten wurde rasch klar, dass man bei einer von aussen angestossenen (meist gleichzusetzen mit unerwünschten) Veränderung zuerst einmal das sieht, was man verliert. Kein Baden mehr im Züri-See, kein Apéro im blühenden Garten, kein Snowboarden im Pulverschnee. 

Waren wir nicht der Meinung, Veränderungen sollte man positiv begegnen? Doch das, was man gewinnen könnte, ist eher vage wenn nicht gänzlich unbekannt. Und wer ängstlich ist, ersetzt das Unbekannte durch das Schreckliche. Einer der Leadership-Experten fragte, für wie lange er denn auf dem Mars bleiben müsse...

Übertragen wir das Experiment auf eine Reorganisation. Da sprechen Führungspersonen jeweils von neuen Chancen, die sich auftun und von individueller Weiterentwicklung. Und wundern sich, dass die betroffenen Mitarbeitenden sich weniger für die neue strategische Ausrichtung interessieren als vielmehr darum besorgt sind, ob sie noch eine Stelle haben und wer ihr Vorgesetzter wird. 

Der erste Impuls ist, Veränderung abzuwehren. Es braucht also eine kognitive Leistung, um eine Veränderung positiv zu sehen. Man muss sich «einreden», dass es Chancen gibt und sich neue Türen öffnen könnten. Das braucht Zeit. Man muss den ersten Schock überwinden und Bewährtes loslassen. Es braucht noch mehr Zeit, sich schliesslich in den neugierigen Modus zu bringen und den Fokus auf Unbekanntes zu richten. Zudem braucht es Zuversicht. Man muss davon ausgehen, dass Unbekanntes positiv und spannend sein kann. 

Veränderung braucht also Zeit und Zuversicht. Man muss sich vom ersten Schrecken erholen, den Verlust aus dem Mittelpunkt rücken und sich schliesslich auf neue Möglichkeiten fokussieren. Dieser Prozess ist individuell. Die einen halten länger am Bewährten fest. Die anderen sind rascher im Expeditionsmodus. Führungspersonen tun also gut daran, diesem Prozess Zeit einzuräumen. Und aktiv am Entdecken der Chancen zu arbeiten. 

Aber es sei ja nicht jede Reorganisation zu vergleichen mit einer Reise auf den Mars, meint einer der Teilnehmenden. Ja schon. Aber auf den Mond will ich auch nicht. 

Führungkathrin daeniker